Von Christen und Muslimen - Erfahrungen und Integration heute
Darf ich kritisch über Religionen reden? Sind Sie, als Leser bereit mir zu wenig Wissen zu verzeihen? Können Sie sachlich-kritisch auf mich eingehen und eventuell sogar Selbstkritik zulassen?

Lange schon wollte ich einen Beitrag schreiben der von Ängsten, Unwissenheit und Vorurteilen im Zusammenleben von Christen und Muslimen handelt. Warum nicht heute damit anfangen?

Zu aller Erst sollten Sie wissen, das ich selber zu den römisch katholischen Menschen gehöre. Ich habe stets Dinge hinterfragt und bin neugierig auf neues Wissen zugegangen. Ich habe mir immer gesagt "ich brauche die Kirche nicht um mit Gott zu kommunizieren, aber sie hilft mir - und mein Glauben tut dies auch - in Zeiten der Not die Seele zu trösten. Ist dies nun heuchlerisch, weil ich lange nicht mehr in der Kirche war, außer zu Hochzeiten oder Trauerfesten? Vielleicht sollte ich es mal wieder wagen...

Nun denn, worum es mir eigentlich geht ist die Tatsache das Christen und Moslems oftmals wenig von einander oder der anderen Religion wissen. Aber in Deutschland leben etwa 60% Christen (kat/ev) und immerhin 5% der Einwohner sind Muslime. Damit ist der Islam die dritt stärkste Religion in Deutschland und tatsächlich zehn mal öfter vertreten als die viert häufigste Religion - die Griechisch-Orthodoxe Kirche - bezogen auf die Anzahl der Menschen, die diesen Religionen und dem damit verbundenen Glauben angehören.

Aber gerade weil der Islam in Deutschland stark vertreten ist gibt es immer wieder Reibungen und Konflikte.
Vom altbackenen "die klauen unsere Arbeitsplätze" bis hin zum Vorurteilsgaranten "die wollen sich nicht intigrieren" habe ich alles und viel zu oft gehört.
Die Wahrheit ist tatsächlich viel verschachtelter als das es in einem Satz zu erklären wäre wenn man sich die Frage erlaubt: Wie kommen Menschen zu so einer Meinung?

Es hat weniger damit zu tun, das man Christ oder Moslem ist und man aus religiösen Gründen so denken würde. Ich glaube es ist das Mensch sein selbst. Eine wichtige Lektion aus frühester Zeit Gefahren einzuschätzen - in diesem Bezug heute natürlich auch jede Situation und Konfrontation - und dann zu handeln. Und wie bei den Vögeln scheint es zu sein, das wenn nur einer Alarm schlägt alle schnell mit weg fliegen oder hier, neben der Metapher, einfach das nachsagen was wichtig und gefährlich genug klingt um eine Situation einschätzen zu können. Nicht zuletzt natürlich auch die Tatsache das der eigene Geist nicht in der Lage ist sich selbst ein Bild zu machen oder Neugierig genug ist zu hinterfragen. Und am Ende sind es natürlich Argumente um das eigene Scheitern in der Gesellschaft oder den eigenen Werten zu erklären.

Ich selber war öfters in der Situation gescheitert zu sein. Wer ist das nicht. Das Leben ist nun mal von Höhen und Tiefen getrieben. Und auch ich habe mir eingeredet, das es oft an dem anderen gelegen hat, natürlich nicht an mir selber. Wie verlockend und einfach.

Lassen Sie mich weiter meine Meinung vorbringen: Ich denke das Moslems, Christen, Juden, Buddhisten und alle anderen Menschen mit und ohne Religion im Grunde gleich sind: Sie glauben - mehr oder weniger stark - und sie atmen. Sie müssen essen und trinken, sie interagieren alleine, in Familien oder Sippen, in Gemeinschaften oder Dörfern, Vereinen und Vereinigungen und sie fühlen. Das ist die Basis der Gleichheit und die Basis des Mensch seins.
Nun gibt es natürlich auch Unterschiede. Erziehung, Ehre, Respekt, Stellung der Frau und im allgemeinen die kulturelle Umgebung in der wir aufwachsen und die uns mit Pflichten und Rechten erzieht; um nur einige der Einflüsse und Unterschiede zu nennen. Wenn man in Saudi Arabien die Vogue kauft sollten einen spätestens die schwarzen Balken klar machen, das nicht alles gleich sein kann und darf. Religiös und kulturell. Jede Kultur hat über Jahrhunderte andere Werte und Normen erlernt. Die Aufklärung, so wie wir sie in westlichen Ländern verstehen - schauen wir mal auf Frankreich - ist in vielen Ländern nicht passiert oder völlig anders gelaufen. Macht sie das schlechter? Nein, nur anders und das ist oftmals befremdend.

Nun kommt aber noch ein entscheidender Faktor dazu: Ziehe ich, zum Beispiel als Türke, nach Deutschland, so laufe ich Gefahr das die Anpassung an eine andere Kultur auch mich und meine Kinder und die vaterländische Kultur beeinflusst. Ich habe also grundlegend zwei Möglichkeiten damit umzugehen:

1) Ich will meine Kultur für mich und meine Kinder bewahren und schütze diese, so gut es geht. Das bringt mich in Abhängigkeit und Zwänge diesen Wunsch durchzusetzen. Konflikte sind vorprogrammiert und es ist sehr schwer spätestens meinem Kind zu vermitteln warum es für mich schwer zu ertragen ist, das es sich schminkt oder auf deutschen Hiphop steht oder einen deutschen Freund oder eine deutsche Freundin als Lebenspartner hat. Im allgemeinen scheint es mir für Töchter mehr Konflikte zu geben als für Söhne. Warum kann ich nur mutmaßen, aber es ist wohl zum einen die Stellung der Frau in anderen Religionen gepaart mit dem Beschützerinstinkt des Vaters.
2) Ich kann versuchen meinen Kindern die Kultur meines Vaterlandes beizubringen und ihnen den Respekt für diese zu vermitteln, muss aber einsehen, das mein Kind - ohne in meinem Heimatland gelebt zu haben - schwer Verständnis für andere Regeln als die, die es im lebenden Land erfährt - aufbringen wird oder kann. Ein gesunder Mittelweg heißt "lass dich auf Neues ein und sei liberal".

Ich bin klar für die zweite Variante. Diese ist eigentlich der logische Schluss für jeden, der in ein anderes Land zieht. Man muss sich im klaren sein, das die völlige Abschottung der vorherrschenden Kultur einen Konflikt nach sich zieht, der am Ende mit einem Ehrenmord oder der Verstoßung aus der Familie enden könnte aber nicht muss, je nach Religion. Trotzdem, Weg eins hat sehr viel Zündstoff in sich und birgt die Gefahr das Gehirngrätschen der Meinung sind das "man sich nicht intigrieren wolle".

Es ist also - meiner Ansicht nach - nicht nur ratsam den zweiten Weg zu wählen um selbst im Einklang mit seinen Kindern zu leben, sondern auch um die Kinder darauf vorzubereiten welche Steine sie im Laufe Ihres Lebens in den Weg gestellt bekommen, welche Vorteile es aber auch birgt sich zweier Kulturen zu eigen machen zu dürfen.

Dies ist auch der Grund, warum ich als Katholik über Integration schreiben möchte: Ich habe großen Respekt vor den Kulturen dieser Welt. War selber in der Türkei, in Kroatien, in den Niederlanden, Dänemark, Schweiz, Östereich, Frankreich und Bayern (sie merken, das letzte Land, natürlich eines unserer kulturreichsten Bundesländer, läd mich zum schmunzeln ein, ich weiß aber auch über mich selber zu lachen!). In keinem der Länder habe ich eine derart starke Verwachsung von Kultur und Menschen kennen gelernt als in der Türkei. Und ein dort lebender Türke sagte einst zu mir "im Grunde wollen wir in die EU um die Vorteile zu haben, aber wir haben Angst unsere Kultur zu verlieren". Ein Gedanke, den ich nachvollziehen kann und den ich generell nicht für unbegründet halte. Aber es sei gesagt: Die Welt ist im Wandel, und solange Menschen damit beschäftigt sind Kultur niederzuschreiben und in Maßen zu leben, so lange wird sie nicht vergessen. Und es sei gesagt, das Kultur sich jeden Tag neu erfindet und sich an den Lebensstil aller der Kultur angehörenden Menschen anpasst.


Aber ich will zurück zum Kernthema kommen. Integration. Ein Wort mit Bart. Ein guter Bekannter, Türke seines Zeichens und Moslem, teilte mir neulich mit: "Integration, ich kann dieses Wort nicht mehr hören...". Und ich entgegnete: "Wenn wir nicht darüber sprechen, wer soll dann zeigen, dass sie stattfindet und wer soll sonst Vorurteile und Missverständnisse aufdenken, wenn nicht wir? Denn wir reden zusammen auf respektvoller Ebene". Und schon entstand eine drei-stündige Diskussion über fremde Ansichten und Unterschiede aber auch über Gemeinsamkeiten. Eine Diskussion, die ich im Nachhinein nicht missen will.

Füch mich ist heute Fakt, das es genug "Ausländer" gibt, die sich integrieren wollen, das es genug gibt, die bereits integriert sind und das gegebenenfalls ältere Menschen, denen es weit schwerer fällt neue Kultureinflüsse zu akzeptieren oder neue Sprachen zu erlernen, ein Defizit aufweisen; weniger jedoch die jungen Menschen, die eben mit mindestens einer, oftmals aber zwei Kulturen aufwachsen und im Lernen noch deutlich bevorteilt sind.

Wenn wir über mangelnden Integrationswunsch sprechen, dann doch also primär über die älteren Menschen. Und ich gebe hier recht, wenn jemand sagt "die Intetration dieser Gruppe ist nicht einfach", denn es hängt auch vom starken Wunsch ab es zu wollen. Lernen muss man wollen! Hier muss Deutschland genauso nachbessern und diese Menschen mit einbeziehen. Nicht die Regierung. Wir alle. Oftmals auf kommunaler Ebene.

Auf dem TV Kanal BonGusto gibt es eine Sendung die, ohne es zu wollen, eine von vielen tollen Möglichkeiten aufgezeigt hat auch ältere Immigranten in die Gemeinschaft einzugliedern: Hairy Bikers. Hier gab es so genannte Rezeptbörsen bei denen Menschen ihre liebsten Rezepte nachkochten und natürlich auch das Rezept teilten. Viele Menschen unterschiedlicher Herkunft haben also gemeinsam gekocht, gemeinsam das Unbekannte probiert und sich ausgetauscht. Kommunikation, Anerkennung, kennenlernen. Bemerkenswert daran war, das hier auch bewusst asiatische Familien, arabische Familien und andere Einwandererfamilien daran teilgenommen haben und gerade diese kulinarisch unbekannten Rezepte hoch im Kurs standen, schmeckten und somit Anerkennung erhielten.

Essen verbindet, heißt es so schön. Und warum sollten nicht Bürgermeister deutscher Gemeinden diese Idee aufgreifen und gerade per "Flyer" die Familien, die man bisher nicht integrieren konnte, zusammen mit akzeptierten und anerkannten Gemeinde-Familien - einladen und auch denen das Gefühl der Bestätigung und der Akzeptanz geben.

Schliesslich lässt es sich so sehr viel einfacher vermitteln das man sich freuen würde, diese Menschen als Teil der Gemeinschaft zu haben, als wenn man sie zwingt.

Ich hoffe auf die Kreativität deutscher Gemeinden!

Aber was ist nun der Schlüssel zum Integrieren?

Verständnis, Akzeptanz, Respekt, Neugier, partnerschaftliches Benehmen und Freude darauf den Anderen oder das Fremde kennenzulernen.

In der Türkei habe ich damals diese mehrstündige Diskussion mit Händen und Füßen geführt. Wir haben uns verstanden. Man muss sich nur darauf einlassen. Warum sollte das hier anders sein?

Ich habe neulich, von einem mir lieb gewonnenen Professor im hohen Alter (Rentner im Sinne) ein Buch geschenkt bekommen. Bevor ich den Titel verrate möchte ich sagen, das dieser Mensch im Alter über 70 arabisch gelernt hat, verschiedene Varianten des Koran in deutschen Übersetzungen - die er für mal mehr und mal weniger gelungen hält - aber auch in arabisch gelesen hat und ein Kritiker aber auch ein Befürworter des Islam zugleich geworden ist. Ein Beispiel für Lernfähigkeit im Alter, wenn man nur will. Der Titel des Buches lautet "Islam - Schnellkurs" im Dumont Verlag, von Walter M. Weiss. Ich habe über 10 Jahre kein Buch mehr gelesen, muss ich zu meiner Schande gestehen. Aber den Islam Schnellkurs verschlinge ich seit Tagen, oftmals in der Badewanne; krankheitsbedingt. Ich kann nur hoffen, das viele christliche Landsmänner und Frauen dieses Buch einmal lesen und, vielleicht zur Überraschung von Ihnen als Leser, auch Muslime dieses tun. Ohne es gelesen zu haben kann man kaum wissen wie viel uns religiös verbindet, was uns unterscheidet und warum zum Beispiel verschiedene Arten der Verschleierung vorhanden sind, um nur ein Beispiel von hunderten zu nehmen. Schliesslich ist es ein Konfliktthema zwischen Christen und Muslimen, zwischen Vätern und Töchtern etc.

Ich hoffe, das wir uns weiterhin im Klaren sein werden, das Deutschland von Einwanderern genauso profitieren kann und muss wie es Einwanderer von Deutschland tun. Wir sind nicht das gelobte Land oder die Menschen die die Richtigkeit ihres Daseins für sich gepachtet haben.

Wir können nur wachsen, wenn wir lieben und leben und respektieren und weltoffen, aber auch kritisch mit anderen und mit uns sind.

Das wünsche ich uns allen.

In diesem Sinne hoffe ich darauf, das wir Deutschland in Zukunft als Land mit gemeinschaftlichen Perspektiven ansehen und jeden Mitbürger - egal welche Hautfarbe er hat - als Gewinn für unsere Gemeinschaft begreifen lernen.

Als Schlußsatz möchte ich anmerken, das wir gar nicht so weit davon entfernt sind wie viele andere Länder. Unsere Vergangenheit lässt noch viele von uns darüber nachdenken warum vor 80 Jahren so viel Schlechtes passieren konnte. Ich habe von vielen Deutschen und/oder Christen - in anderen Ländern lebend - gehört, das wir Deutsche schnell als Nazis betitelt werden und Christen schnell als Ungläubige gelten. Ich hoffe also auch, das die Menschen außerhalb unserer kleinen "Philosophenwelt" verstehen, das auch ihre Haltung nicht das Maß aller Dinge ist und nicht die Deutschen immer die Antisemiten, Rassisten etc sind. Jeder Satz, der einen Menschen mit Immigrationshintergrund, anderer Religion oder anderer Denkweise verletzt kann schnell Rasissmus sein oder in ihm enden. Selbst eine abfällige Geste kann es sein. Das darf niemand auf diesem Planeten - Länder-, Herkunfts- und Religionsübergreifend - vergessen!

In diesem Sinne: Danke fürs Lesen!
Nagadésh




undertaker-bhv am 02.Mär 12  |  Permalink
Gott ist tot.. und Allah auch
Moin Naga,
du schreibst recht wortgewandt über Christen und Moslems, vergisst oder verschweigst in deiner Aufzählung aber völlig die Gruppe der Konfessionslosen, die (nach aktuellen Statistiken) mehr als die Hälfte aller Bürger ausmacht und somit die größte Gruppe stellt.
Wir (ich formuliere das absichtlich so) haben uns in allen Zeiten sehr darüber gewundert wie sich die Weltrelegionen so feindlich gegenüber stehen können wo sie doch im wesentlichen an das gleiche glauben.
Ob man nun die Bibel der Christen liest oder den Koran der Moslems oder aber die Tora der Juden... in allen steht grundsätzlich das gleiche wenn es um das Miteinander geht.
Trotzdem haben Glaubensfragen in der Geschichte der Menschheit immer wieder zu Kriegen geführt.
Von daher ist nicht die Frage nach einem oder welchem Gott die richtige bzw ob und wie man den Glauben des anderen bewerten und im besten Fall tollerieren möchte.
Die richtige Frage lautet: will man sein Leben auf religiösen Dogmen aufbauen oder auf humanistisch-philosophischen Grundsätzen die davon ausgehen das die momentene Sicht die man auf die Dinge hat notwendiger Weise falsch ist und ständiger Korrektur bedarf?

Letztlich mußte alles was wir an unserer heutigen mitteleuropäischen Kultur schätzen hart und zum Teil über Jahrhunderte gegen die Macht der Kirchen erkämpft werden.

Wer wird sich da heute kleingeistig mit den minimalen Unterschieden zwischen den Weltreligionen befassen wollen?

nichts desto trotz zolle ich dir mit diesem Beitrag auch und vor allem meinen Respekt für deinen Mut diesen Blog ins Netz zu stellen. Weiter so!

liebe Grüße aus der Seestadt mit Herz
Undertaker-BHV

http://www.giordano-bruno-stiftung.de/